Der Euro – Von der Leitwährung zur Leidwährung?

Wir erinnern uns zurück in das Jahr 2002. Damals, vor 20 Jahren, wurde Brasilien in Japan Fußballweltmeister, der Ohrenschmaus „The Ketchup Song“ eroberte die weltweiten Musikcharts und Wolfgang Schüssel war Bundeskanzler unserer Republik. Und natürlich gab es die Einführung des Euro – ein gewaltiges Gemeinschaftsprojekt mit großen Ambitionen.

Der Weg in die Währungsunion

Was damals mit elf EU-Mitgliedsstaaten begann, wurde im Laufe der Zeit sukzessive auf 19 Länder mit über 340 Millionen Einwohner:innen ausgeweitet. Die Gemeinschaftswährung war seinerzeit angetreten, um dem US-Dollar als globale Leitwährung Paroli zu bieten. 20 Jahre danach kann festgehalten werden, dass dieses Vorhaben – vorsichtig formuliert – nur recht eingeschränkt erreicht wurde.

Die ambitionierte Entwicklung des Euros gegenüber dem US-Dollar in den ersten Jahren nach der Einführung endete im Zuge der weltweiten Finanzkrise 2008. Seit dem Höchststand, bei knapp 1,60 US-Dollar im April 2008, ist ein sehr schwankungsintensiver, jedoch kontinuierlicher Abwärtstrend gegenüber der US-Währung zu beobachten. Diese Schwäche gewann in den letzten Monaten noch einmal spürbar an Dynamik und beim Verfassen dieser Zeilen notiert die heimische Währung bei knapp unter einem US-Dollar. Das ist der tiefste Stand seit Mitte 2002. Diese schwache Entwicklung ist als fehlendes Vertrauen der Marktteilnehmer:innen gegenüber dem Euro, beziehungsweise der Stabilität der Währungsunion zu werten und nährt die kritischen Stimmen in Europa. Dabei wäre eine gesunde gemeinsame Währung ein wichtiger Bestandteil für eine wirtschaftspolitisch erfolgreiche Europäische Union.

Abbildung 1 - eigene Berechnung

Ein schwer verdaulicher Cocktail

Woran liegt diese Schwäche? Zunächst einmal sind Wechselkursschwankungen bei Währungen etwas völlig Normales. Angebot und Nachfrage bestimmen die Kurse und diese werden durch viele unterschiedliche Faktoren, wie politische Entwicklungen, der Geldpolitik, haushaltspolitische Entscheidungen, Psychologie der Marktteilnehmer:innen, Trading & Spekulation, der Inflation etc. beeinflusst. Manchmal greifen sogar die Notenbanken direkt in das System ein und „fixieren“ einen Kurs (Stichwort: Schweizer Notenbank) oder treiben mit ihrer Rhetorik die Währung in eine bestimmte Richtung (z.B. Donald Trump).

Blickt man auf die mit Abstand wichtigste Währung weltweit, dem US-Dollar, ist diese aktuell jedoch nicht nur gegenüber dem Euro (der zweitwichtigsten) sehr stark, sondern gegenüber so gut wie allen anderen etablierten Währungen. Der Dollar wird generell als „Sicherer Hafen“ bezeichnet, der vor allem in Krisenzeiten, von Anleger:innen stärker nachgefragt wird. Hinzu kommt, dass die Zinslandschaft in den USA im Vergleich zu anderen Währungsräumen deutlich attraktiver ist (Zinskurve höher als bspw. Deutschland), was Kapitalzuflüsse und somit eine steigende Devisennachfrage impliziert.

In Europa sieht die Lage deutlich anders aus. Die Gründe für die Euro-Schwäche sind vielschichtig und größtenteils struktureller Natur. Die EZB lässt eine couragierte Zinspolitik vermissen, in Italien bereitet man sich mit ungewissem Ausgang auf die 68. Regierung seit 1946 vor, die Inflation befindet sich auf Niveaus, die man zuletzt vor 50 Jahren beobachten konnte und im Osten tobt der Krieg. Hinzu kommt die schwelende Energiekrise, die weiteren Druck auf unsere Volkswirtschaft ausübt – Ausgang ungewiss. Zusätzlich wirkt eine schwache Währung auch inflationstreibend. Die Importe von, in der Regel in US-Dollar gehandelten Rohstoffen (z.B. Rohöl oder Erdgas), verteuern sich entsprechend. Man spricht in diesem Kontext von einer „importierten Inflation“. Genau das möchte man in einer Phase sehr hoher Teuerungsraten eigentlich nicht haben.


Profiteure einer schwachen Währung

Gibt es denn auch Profiteure einer schwachen Währung? Allgemein wird argumentiert, dass ein schwacher Euro gut für die heimischen Exporteure ist, da die Nachfrage aus dem Ausland steigt. In der Vergangenheit wurde deshalb von der ein oder anderen Regierung die eigene Währung auch gezielt abgewertet, um die ausländische Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen anzukurbeln (z.B. Italien).

Auch Kapitalmarktteilnehmer:innen können von einem schwachen Euro profitieren, und zwar, wenn sie etwa in US-Dollar geführte Wertpapiere (z.B. amerikanische Aktien) investiert sind. Durch den starken Dollar, respektive den schwachen Euro, entstehen Fremdwährungsgewinne, welche die Wertentwicklung eines US-Wertpapiers entsprechend beeinflussen können. Per Ende August belief sich etwa die Wertentwicklung von US-Aktien (S&P 500 Index) seit Beginn des Jahres auf rund minus 16 % in USD, in Euro gerechnet jedoch nur rund minus 5 %. 
 

Wie geht es mit dem Euro weiter?

Währungsentwicklungen sind aufgrund ihrer zahlreichen Einflussfaktoren, insbesondere der politischen Entwicklungen, noch schwerer zu prognostizieren als die meisten anderen Anlageklassen. Insofern kann niemand sagen, ob der Euro gegenüber dem Dollar oder auch anderen Währungen kurzfristig wieder spürbar zulegen wird. Aktuell spricht nicht Vieles für einen Rebound. Der Krieg, die Energiekrise und die unterschiedliche Haushaltspolitik innerhalb der Eurozone geben der Europäischen Zentralbank nur sehr eingeschränkten Spielraum für ambitionierte Zinserhöhungen und lasten auf dem Vertrauen in die Gemeinschaftswährung.  

Das Ziel, mit dem US-Dollar in puncto globale Leitwährung ernsthaft zu konkurrieren, ist jedenfalls zuletzt in weitere Ferne gerückt. Nach wie vor werden rund 60 % aller Devisenreserven in US-Dollar gehalten, in Euro nur rund 20 %. Zudem spielt bei einer Währung das Vertrauen der Marktteilnehmer:innen eine entscheidende Rolle, und das Image des Dollars ist jenem des Euros aktuell spürbar überlegen.

Nichtsdestotrotz ist und bleibt eine gemeinsame Währung nach Ansicht der meisten Expert:innen die Grundlage für ein erfolgreiches Europa. Sie bildet das Fundament für einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt. Es bleibt somit zu hoffen, dass die Europäische Union das Gemeinsame vor das Trennende stellt und strukturelle Reformen zum Wohle aller weiter vorantreiben kann. Dann dürfte sich der Euro perspektivisch auch wieder erholen.  

 

Stefan Gerstmayr, Sparkasse OÖ Kapitalanlagegesellschaft

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