Herausforderungen und Chancen des Standorts Österreich

23.10.2024

Österreich punktet durch eine starke Diversifizierung, innovative Hidden Champions und ein stabiles politisches Umfeld. Dennoch sieht sich die heimische Wirtschaft einer Reihe an Herausforderungen gegenüber, die bewältigt werden müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Im Interview blickt Friedrich Mostböck, Chefanalyst der Erste Group, auf den Wirtschaftsstandort Österreich und Europa.

Auf welche Stärken baut der österreichische Wirtschaftsstandort?

Eine wichtige Stärke des österreichischen Wirtschaftsstandorts ist die diversifizierte Wirtschaftsstruktur. Gleichzeitig gibt es einige Marktführer in diversen globalen Nischen, sogenannte „Hidden Champions“. Hinzu kommt ein, im relativen Vergleich zu anderen Ländern, stabiles politisches und rechtliches Umfeld, hochqualifizierte Ausbildung und Fachkräfte sowie eine, im EU-Vergleich, hohe Forschungsquote.

Welche Schritte müssen gesetzt werden, um diese Stärken auszubauen?

Obwohl das stabile politische und rechtliche Umfeld eine Stärke ist, wäre es sinnvoll, im Sinne eines Bürokratieabbaus diverse Regulierungen zu überprüfen. Das würde die

"In Österreich finden sich einige „Hidden Champions“ unter den Unternehmen."

Wirtschaftstätigkeit von Unternehmen erleichtern. Auch von Erleichterungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte bzw. beim gezielten Anwerben von ausländischen Fachkräften könnte der Standort profitieren. Angesichts der demographischen Entwicklungen, könnte so in manchen Bereichen der Fachkräftemangel spürbar entschärft werden. Eine Erhöhung der steuerlichen Forschungsprämie würde zudem die gute Forschungsquote weiter fördern.

Die Inflation ist nach wie vor ein bestimmendes Thema. Von welchen Zinsschritten der EZB gehen wir 2025 aus?

Wir gehen 2025 von drei Zinssenkungen zu je 25 Basispunkten aus, sodass mit Ende 2025 der Einlagenzinssatz der EZB bei 2,25 Prozent liegen sollte. Trotz der aktuell noch hohen Kernrate der Inflation sprechen vorlaufende Indikatoren wie beispielsweise das Lohnwachstum für nachlassenden Inflationsdruck im Verlauf des Jahres 2025.

Für 2025 wird für Österreichs Wirtschafts ein moderates Wachstum von +0,9 Prozent erwartet. Im Jahr 2026 wird ein Wachstum von 1,1 Prozent erwartet. © Adobe Stock

Wie sehen Sie in diesem Kontext die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs in den kommenden Jahren?

Wir erwarten 2025 ein moderates, aber unterdurchschnittliches Wachstum von +0,9 Prozent. Dies ist jedoch daran gekoppelt, dass sich die Entwicklung der Exporte nachhaltig verbessert und der Konsum, der dieses Jahr enttäuscht hat, spürbar anzieht. 2026 rechnen wir mit einem Wachstum von 1,1 Prozent, womit die österreichische Wirtschaft knapp unter ihrem Potenzial wachsen wird. Nachdem der harmonisierte Verbraucherpreisindex in Österreich zu Beginn des Jahres mit 4,3 Prozent noch deutlich über der Eurozone-Inflation lag, gab dieser im Laufe des Jahres nach und liegt nun bei 1,8 Prozent. Grund für den Rückgang sind vor allem Treibstoffe, die in den letzten Monaten preisdämpfend wirkten. Nach einer Inflation von 3,0 Prozent in diesem Jahr erwarten wir einen spürbaren Rückgang auf 1,9 Prozent im kommenden Jahr. Im Jahr 2026 erwarten wir aktuell ebenfalls eine Inflation bei 1,9 Prozent.

Welche Sektoren oder Industrien sehen Sie in Europa generell als Wachstumstreiber?

Trotz der Defizite wird auch für Europa der IT-Sektor ein Wachstumstreiber sein. Zusätzlich erwarten wir von der Pharma- und Gesundheitsbranche überdurchschnittliche Wachstumsraten.

Europa wird oftmals nachgesagt in puncto technologische Innovation hinter den USA und Asien herzuhinken. Kann Europa diesen Trend umkehren oder gibt es andere Bereiche in denen Europa punkten sollte?

Europa hat in den Bereichen Software, IT, Halbleiter und künstliche Intelligenz erhebliche Defizite gegenüber den USA und Asien. Aufgrund der vielversprechenden Aussichten für zukünftige Produktivitätszuwächse bei Dienstleistungen richtet sich derzeit der Fokus globaler Investoren auf diese Industrien, wovon fast ausschließlich die Wirtschaft in den USA und in Asien profitiert. Realistisch betrachtet wird es für Europa schwierig werden auf diesen Gebieten aufzuschließen. Aber Europa kann durch eine Stärkung des Binnenmarkts, sowie eine Stärkung der Kapitalmärkte, insbesondere mit Fokus auf Risikokapital, jetzt die Grundlage schaffen, um bei zukünftigen Trends besser positioniert zu sein.

Darüber hinaus sollte sich Europas Politik offener für Wettbewerb bzw. Veränderungen durch Innovationen zeigen. Ein gutes Beispiel dafür sind digitale Fahrdienstleister wie Uber oder Lyft. In den USA haben diese Anbieter weitgehend den Markt für Fahrdienstleistungen revolutioniert. In vielen europäischen Ländern wurden sie stark reguliert, um den Druck auf herkömmliche Taxiunternehmen zu senken. Es stellt sich folglich schon oft die Frage, ob Europa vielfach moderne Effizienzsteigerungen verhindert, welche in anderen Staaten Standort- und Wettbewerbsvorteile schaffen. Im Bereich Blockchain-Technologie und künstlicher Intelligenz gibt es ebenso bereits Reglementierungen die potenziell weitere Innovation von Unternehmen hemmt.

Ist eine Stärkung des europäischen Kapitalmarkts eine Voraussetzung für weiteres Wachstum?

Ein, im Vergleich zu den USA, unterentwickelter Kapitalmarkt ist sicherlich ein wesentlicher Nachteil für den Wirtschaftsstandort Europa. Ein funktionierender Kapitalmarkt ist von enormer Bedeutung für einen Wirtschaftsraum. In Europa sind Unternehmen vielfach kreditfinanziert, während dies in den USA überwiegend über Kapitalmärkte und andere Finanzprodukte, etwa Anleihen, übernommen wird. Eine rasche effiziente Verteilung von Kapital innerhalb eines Wirtschaftsraumes ist eine wesentliche Voraussetzung, um die zukünftigen Wachstumsaussichten zu stärken.

Welche Schritte müssten gesetzt werden, um den Kapitalmarkt zu stärken?

Zunächst müssen rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen bzw. verbessert werden um bildlich gesprochen z.B. spanischen Unternehmen den direkten Zugang zu deutschen Investoren zu vereinfachen und vice versa. Da gibt es nach wie vor länderspezifische Barrieren selbst innerhalb der EU. Auch die derzeit mangelhafte Mobilisierung von Risikokapital müsste verbessert werden. Denkbar wären hier beispielsweise steuerliche Anreize oder Initiativen, um erfahrene US-Investoren aus dem Venture Capital Bereich nach Europa zu lotsen. Von ihrem Know-How könnte dann Europa für zukünftiges Wachstum profitieren. Anders als in Europa sind beispielsweise in den USA große etablierte Unternehmen, wie Microsoft oder Alphabet, selbst im Bereich Venture Capital stark aktiv, um die eigenen Wachstumsaussichten kontinuierlich zu verbessern. Dieser Zugang ist bei europäischen Unternehmen praktisch weniger stark ausgeprägt.

Wie anfällig ist Europa Ihrer Meinung nach für externe Schocks wie mögliche globale Wirtschaftseinbrüche oder geopolitische Instabilität in Regionen wie Asien oder dem Nahen Osten?

Aufgrund der Einbindung in globale Wertschöpfungsketten bleibt Europas Wirtschaft anfällig für globale Risiken. Vor allem Länder wie Deutschland die überdurchschnittlich von der Industrie und dem Handel mit Wirtschaftsräumen in Übersee abhängen. Allerdings hat sich bei den Unternehmen ein stärkeres Bewusstsein für diese Risikofaktoren entwickelt, wodurch viele mittlerweile im Krisenfall schneller reagieren können. Die Anpassungsgeschwindigkeit der Unternehmen hat sich erhöht. Moderne Informationstechnologie und KI hilft vielen Unternehmen ihre Lagerhaltung zu optimieren bzw. zu senken und Beschaffungsprozesse im Krisenfall schneller umzuleiten. Dies hilft potenzielle Verwerfungen der Lieferketten in Zukunft gegenüber den Kund:innen besser abzufedern. 

Mit welcher Stimmung blicken Sie in die wirtschaftliche Zukunft Österreichs und Europas?

In Bezug auf Österreich mit Vorbehalten. Die Liste an Aufgaben und Wünschen an eine neue Regierung ist lang: Von einer spürbaren Arbeitsmarktreform, über eine Pensionsreform bis hin zu einer Konsolidierung des Budgets mit einem nachhaltigen Ziel zur Reduktion der Schulden. Durch die diversen Hilfsprogramme und Stützungsmaßnahmen der vergangenen Jahre entwickelte sich zudem das Budgetdefizit negativ. Das Maastricht-Kriterium, von drei Prozent des BIP, kann dieses Jahr wohl nicht eingehalten werden. Viele dieser Faktoren führten zu einem spürbaren Verlust von Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zum EU-Raum und auch global. Gleichzeitig haben Österreichs Unternehmen jedoch aus den Krisen der vergangenen Jahre gelernt und sich krisensicherer aufgestellt. So wurden beispielsweise vielfach Lieferketten diversifiziert oder in eine lokale und nachhaltige Energieversorgung investiert.