Neue Marktchancen für innovative Lösungen
Einen Beitrag als Volkswirt und Energieforscher für die Startrampe zu verfassen, ist für mich eine diffizile Angelegenheit. Wir befassen uns am Energieinstitut an der JKU Linz in einer Vielzahl an Projekten mit dem großen Thema der Energietransition hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft. Mit Technologien, mit komplexen Systemen, mit regulatorischen Anpassungen, mit makroökonomischen Effekten, mit neuen Marktformen. Was kann man daraus nun selektieren und welche Aspekte, insbesondere für Jungunternehmer:innen, lassen sich aufzeigen?
Vielleicht ist es genau die fast nicht mehr überschaubare Breite des Anwendungsgebietes für neue Produkte, Geschäftsmodelle und Dienstleistungen in den Themen Energie, Mobilität und Klima. Die Synthese mit Digitalisierung generiert beispielsweise ein extrem breites Marktumfeld – vom persönlichen energy & carbon tracking über neue Plattformen von energy communities zu neuen Algorithmen zur Vorhersagung meteorologischer Daten. Die Verschmelzung der ehemals stark separierten Dimensionen Energie und Mobilität, zu einem neuen integrierten Markt, erfordert komplett neue Abrechnungssysteme, Sharing-Modelle und intermodale Applikationen. Die Implementierung der Kreislaufwirtschaft generiert neue Sammel- und Recyclingsysteme, neue Lösungen etwa zur Kohlenstoff-Separierung oder neue Wertschöpfungsketten. Die Notwendigkeit nach Speicherung von Energie (und der damit sich korrelierende Wunsch nach mehr Unabhängigkeit von Konsument:innen) erfordert neue Technologien, neue Algorithmen und neue Geschäftsmodelle. Das inhaltliche „bullshit bingo“ im positiven Sinn kann man fast beliebig erweitern in diesem innovativen Markt(-umfeld).
Man möchte fast laut lausschreien, legt einfach los!
Demgegenüber steht allerdings der Aspekt, dass es sich beim Energiesystem zurecht um eines der am stärksten regulierten Systeme handelt. Marktverzerrungen wie externe (Umwelt-)Effekte, Marktmacht durch natürliche Monopole oder asymmetrische Information müssen per se öffentlich reguliert bzw. gelöst werden, um halbwegs optimale Verhältnisse herzustellen. Dafür sind umfassende Gesetze / Verordnungen / Steuersysteme / Förderungen etc. erlassen, die im Detail den Rahmen für Teilmärkte im Energiesystem vorgeben. Und die entscheidende Herausforderung hierbei ist, dass sich aufgrund veränderter gesellschaftlicher Präferenzen, aufgrund neuer technologischer Lösungen oder aufgrund veränderter ökologischer oder klimatischer Gegebenheiten auch die regulatorischen Ausprägungen stetig verändern. Das erschwert für Jungunternehmer:innen den Markteinstieg immens.
Man möchte fast laut lausschreien, seid bloß sehr vorsichtig!
Es ist wohl keine branchenspezifische Problemstellung, stark von zukünftigen Markteingriffen abhängig zu sein, im Ausmaß der Ausprägung mitunter doch. Es ist somit aus meiner Perspektive unumgänglich, auf ausreichende Expertise in diesem fachlichen Bereich in der Schnittmenge von Recht und Ökonomie zu setzen.
Grundsätzlich bin ich der Ansicht und auch zum Teil der Hoffnung, dass auch geopolitische Verwerfungen wie der Krieg in der Ukraine den langfristigen Umbau hin zu einem CO2-neutralen System nicht aufhalten, sondern eher beschleunigen werden. Die gesellschaftliche Akzeptanz zur Lösung eines großen komplexen Problems ist stark von der gesellschaftlichen Sichtbarkeit des Problems abhängig. Und die Bedeutung der fehlenden Diversifizierung unserer Energieimporte mir der starken Abhängigkeit von russischem Gas ist nun auch an den österreichischen Stammtischen angekommen. Somit ist die Energietransition und in diesem Kontext vor allem der Ausstieg aus fossilen Energieträgern zu einem Kernthema des sozialen Grundkonsenses aufgestiegen. Eine breite Akzeptanz ermöglicht als Konsequenz auch neue Marktchancen für innovative Lösungen und Systeme.
Ich kann jedenfalls aus meiner persönlichen Sicht ergänzen: die Arbeit an neuen Lösungen, Erkenntnissen, Produkten und Systemen für einen nachhaltigere Gesellschaft macht nicht nur viel Spaß – sie bringt aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung auch eine gewisse individuelle Bestätigung und Befriedigung mit sich. Das lässt einen persönlich auch die Herausforderungen und Mühen, die selbstverständlich auch im daily business vorkommen, unter Umständen schneller durchtauchen und bewältigen.
Deshalb möchte ich auch mit einem persönlichen Plädoyer schließen – wir alle brauchen neue Ideen, neue Lösungen und neue Produkte auf unserem Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft – lasst uns jede:r für sich, aber vielmehr uns alle, gemeinsam daran arbeiten!