Das Comeback der Zinsen

Das Comeback der Zinsen

Erlauben es die Umstände und möchte man als Autofahrer:in beschleunigen, betätigt man das Gaspedal. Wir alle kennen diese Situation. Dadurch wird bei Autos mit Verbrennungsmotoren die Kraftstoffzufuhr erhöht. Umgekehrt nimm man den Fuß vom Gaspedal (bzw. tritt die Bremse), um Tempo zu verringern, wenn dies die Umstände oder das persönliche Empfinden erfordern, wird die Kraftstoffzufuhr verringert. Ohne flexibles, situationsbedingtes Be- und Entschleunigen des Autos, lässt sich keine Fahrt sicher und effizient beenden, zumal niemand weiß, was sich hinter der nächsten Kurve befinden könnte. Es gilt, das Tempo des Fahrzeuges stets an die sich ändernden Umstände anzupassen und vorausschauend zu fahren.

Geldwertstabilität als primäres Ziel

In unserem Wirtschaftssystem agiert eine Zentralbank ähnlich wie der Antrieb eines Autos. Grundsätzlich soll sie mit ihrer Geldpolitik die Inflationsrate auf einem für alle Marktteilnehmer:innen möglichst verträglichen Niveau halten. Doch das ist leichter gesagt als getan. Zeit ihrer Existenz versuchte die Europäische Zentralbank, dies anhand ihres Inflationsziels von knapp unter 2 Prozent umzusetzen. Das gelang ihr in den Jahren vor Ausbruch der Pandemie eher schlecht als recht. Man kämpfte mit einer strukturell zu niedrigen Inflation und zeitweise trieb sogar das Deflationsgespenst sein Unwesen. 

 

Politik und Notenbanken gehen Hand in Hand

Diverse Finanz- und Wirtschaftskrisen (u.a. Finanzkrise, Eurokrise) und die Pandemie sorgten im Laufe der letzten Jahre dafür, dass Notenbanken weltweit der Politik immer stärker unter die Arme griffen. Man sank die Zinsen bis teilweise unter den Gefrierpunkt und drückte gleichzeitig das Gaspedal der Liquiditätsversorgung bis auf Anschlag, um die Wirtschaft zu stützen. Es erschlich einen immer mehr das Gefühl, dass die Notenbank am Ende des Tages schon als herbeieilender Retter einspringen würde, sollte die Situation brenzlich werden. Darauf verließen sich offensichtlich auch politische Entscheidungsträger. Eigentlich sollte durch die diversen Notenbankmaßnahmen Zeit für wirtschaftspolitische Reformen und strukturelle Verbesserungen ermöglicht werden. Letztendlich führten sie jedoch zu einer immer engeren Verschränkung zwischen Politik und Zentralbank und die erhofften, fruchtbaren Reformen blieben größtenteils aus. Nicht wenige Marktteilnehmer behaupten mittlerweile, dass unser Wirtschaftssystem (jedenfalls in Europa) daher auf billiges Geld angewiesen ist wie der Mensch auf die Luft zum Atmen. 

 

Geld für alle

Die massive Ausweitung der Geldmenge und die de facto Abschaffung der Zinsen im Zuge der Covid-Pandemie führen nun – verstärkt durch den Krieg in der Ukraine – zu einem Inflationsausmaß, das die Notenbanken weltweit nun doch zum Handeln zwingt. Sie müssen auf die Bremse steigen. Strapazierte Lieferketten, hohe Fiskalausgaben, hohe angesparte liquide Mittel privater Haushalte im Zuge der Pandemie, Rekordanstiege bei Energieträgern und Lebensmitteln etc. – der Inflationscocktail ist fertig gemixt und für uns Konsumenten nur schwer verdaulich. Knapp zweistellige Inflationsraten sprengen jegliches Ausmaß an Verträglichkeit und erinnern an längst vergangene Zeiten.

 

Auch die EZB hat keine Glaskugel

Dabei offenbart sich uns Marktteilnehmer:innen aktuell eine, freundlich formuliert, nur recht unzuverlässige Prognosefähigkeit der Europäischen Zentralbank. Die Prognostiker:innen im Frankfurter EZB-Turm haben die Inflationsentwicklung in den letzten Quartalen völlig verkehrt eingeschätzt. Die Kritik, beim Steuern der Geldpolitik geschlafen zu haben, ist demzufolge nicht unberechtigt. Beim Autofahren würde man wohl von einem Sekundenschlaf sprechen.

Die zunächst negierte Inflationsgefahr wurde kleingeredet, dann als temporäres Phänomen bezeichnet und nun wird mit Händen und Füßen gekämpft, diese wieder einzufangen. Leider gestaltet es sich mit der Inflation ähnlich wie mit Ketchup: Drückt man auf die Tube, kommt zuerst nichts raus, dann aber unkontrolliert viel und der Weg zurück ist schwer bis unmöglich. 

 

Ein Zinswendchen steht bevor

Somit bleibt den Notenbanken nur eine Möglichkeit: Die Zinsen erhöhen und die Liquiditätszufuhr drosseln (= Anleihekäufe beenden), auch wenn dies negativ auf die Konjunktur drückt. Die Gefahr einer sich selbst treibenden Inflation ist zu groß und die Notenbanken scheinen gewillt, diese um jeden Preis auf ein verträgliches Ausmaß einzufangen. Inwieweit die vor allem nachfrageseitigen Notenbankmaßnahmen eine primär durch das geringe Angebot gespeiste Inflation ausgleichen können, wird sich zeigen. Fakt ist: Je früher der Krieg in der Ukraine ein Ende findet und je weniger pandemiebedingte Lockdowns weltweit abgehalten werden, desto besser für die Inflationsentwicklung. Beide Faktoren können jedoch von den Notenbanken wenig bis gar nicht beeinflusst werden. 

Die große Zinswende dürfte ohnehin ausbleiben, da stark steigende (Nominal-) Zinsen unwiderruflich Diskussionen über eine Eurokrise 2.0 heraufbeschwören würden. Im Gegensatz zur US-Notenbank FED muss die Europäische Zentralbank EZB eine einheitliche Geldpolitik für alle 19 Länder der Eurozone festlegen. Und die Luft für hochverschuldete Staaten wird mit jedem Basispunkt steigender Zinsen dünner. Der Druck der Politik auf die EZB, speziell aus den südlichen europäischen Regionen, nimmt stetig zu und eine echte Zinswende, bei der Sparer auf realer Basis wieder Erträge erzielen können (= Sparzinsen höher als Inflationsrate) erscheint nach wie vor sehr unwahrscheinlich. 

Stefan Gerstmayr, Sparkasse OÖ Kapitalanlagegesellschaft

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