Rüstungswende in Europa: Das sollten Anleger:innen wissen

InvestStory 3. Juli 2025, Bernd Mayer

Geopolitische Realitäten nehmen in ihrer Gnadenlosigkeit keine Rücksicht auf Befindlichkeiten oder Animositäten, sondern stellen weite Teile der Welt urplötzlich vor vollendete Tatsachen. Entwicklungen, die lange als abgeschlossen – unter Umständen sogar als überwunden – galten, rücken mit einer Vehemenz wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit, die im besten Fall verwundert, im schlimmsten sogar schockiert.

Die sicherheitspolitische Lage Europas hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert – mit spürbaren Auswirkungen auf politische Prioritäten und staatliche Budgets. Jahrzehntelang konnten viele europäische Staaten ihre Verteidigungsausgaben reduzieren und Mittel in andere gesellschaftliche Bereiche umschichten. Diese Phase scheint vorerst vorbei: Der Preis für Frieden und Sicherheit in Europa ist gestiegen. Zahlreiche Regierungen haben konkrete Aufrüstungsinitiativen angekündigt, begleitet von langfristigen Investitionsplänen in Milliardenhöhe. Die Nachricht, dass Staaten ihre Verteidigungsetats erhöhen, wird bei den wenigsten für Jubelstürme sorgen – vielmehr wird sie als notwendige Reaktion auf eine veränderte Bedrohungslage verstanden. Ähnlich wie bei einer Lebensversicherung: Man hofft, sie nie zu brauchen – und freut sich nicht darüber, wenn sie sich als das beste Investment des Lebens herausstellt.

Für Anleger:innen stellt sich damit die Frage, welche Rolle die europäische Rüstungs- und Sicherheitsindustrie künftig in einem diversifizierten Portfolio spielen kann – unter Berücksichtigung der aktuellen geopolitischen Entwicklungen und der damit verbundenen staatlichen Investitionspläne.

Hinweis: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.

Die USA unter Donald Trump hat bereits 2016 gefordert, dass Europa eigenständig in der Lage sein müsse, sich zu verteidigen.1 US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hat diese Forderung im Vorfeld des NATO-Gipfels Ende Juni 2025 in Brüssel erneuert und dabei zum wiederholten Male eine konkrete Zahl genannt: Auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sollen die NATO-Staaten ihre Verteidigungsausgaben erhöhen.2 Das Drohszenario, nach dem im Verteidigungsfall nur Länder mit der militärischen Unterstützung der USA rechnen können, die genug für ihre eigene Verteidigung bezahlen, hat indes Früchte getragen – die 32 Bündnisstaaten sind fast unisono auf die Forderung der USA eingegangen. „3,5 Prozent für klassische Verteidigung plus 1,5 Prozent für Sicherheit“, so die Verlautbarung.3 Ein gewaltiger Satz nach vorne, bedenkt man, dass das bisherige Nato-Ziel für Verteidigung bei Werten um die zwei Prozentmarke lag. Was dies in konkreten Zahlen bedeutet, lässt sich gut am Beispiel Frankreich beleuchten: Der Verteidigungsetat der Franzosen für 2025 liegt bei gut 50 Milliarden Euro, was knapp mehr als die besagten zwei Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht. Will man bis 2030 das 3,5-Prozent-Ziel erreichen, müsste das Militär-Budget auf mehr als 100 Milliarden Euro ansteigen – auch so schon eine Mammutaufgabe, wobei die 1,5 Prozent für Sicherheit noch obendrauf kämen. Wie sich die konkrete Umsetzung auch gestalten wird, bereits zum jetzigen Zeitpunkt steht fest, dass massive Investitionen im Rüstungsbereich anstehen werden.

Investitionsschub voraus

Bereits vor der NATO-Konferenz in Brüssel gab es eine Vielzahl von EU-Initiativen zur Stärkung der Rüstungsindustrie. Unter anderem SAFE (Security Action for Europe), ein Gesamtpaket im Wert von bis zu 150 Milliarden Euro für Munition, Luftabwehr, Drohnen und Cyberabwehr; ReArm Europe, das eine Hebelung von 800 Mrd. Euro an Verteidigungsausgaben durch nationale sowie EU-Mittel vorsah oder ASAP (Act in Support of Ammunition Production), das eine gezielte Förderung der Kapazität bei der Munitionsproduktion vorsah. Allein durch die Erhöhung der NATO-Militärausgaben auf 3,5 Prozent des BIP rechnet das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) mit einer Steigerung der Wirtschaftsleistung in der EU um 0,9 bis 1,5 Prozent auf Jahressicht.4 Eine gemeinsame Studie von DekaBank und EY zu den wirtschaftlichen Effekten europäischer Verteidigungsinvestitionen beziffert die gegenwärtige Beschäftigung im Rüstungssegment mit ca. 680.000 Arbeitsplätzen. Für den Fall „zusätzlicher Ausbau-Investitionen“ würden nach ihrer Modellrechnung weitere 660.000 Arbeitsplätze neu geschaffen werden, die Bruttowertschöpfung läge gar bei einem Plus von 100 Milliarden Euro – und dies, obwohl das Szenario in der Studie „nur“ das Aufstocken der europäischen Verteidigungsausgaben von 2 auf 3 Prozent des BIP modelliert.5

Dabei muss zusätzlich beachtet werden, dass die Rüstungsindustrie nicht autark und isoliert betrachtet werden kann. Vielmehr gibt es einen starken interdisziplinären Charakter, der sich reziprok in Spillover-Effekten auf andere Branchen niederschlägt. So können „entsprechend typischer Investitionsmuster im Fall einer Erhöhung der Rüstungsbudgets vor allem die Technologie- und Baubranche profitieren. Aber auch Zulieferer von Rohstoffen und Elektronikkomponenten dürften spürbar höhere Umsatzanteile erfahren“, heißt es in der Studie weiter. Und auch im Hinblick auf einen späteren – zivil nutzbar gemachten – Technologietransfer, fungiert die Rüstungsindustrie gern als Vorreiter. Man denke dabei nur an das Internet, welches seinen Ursprung im militärischen Forschungsprojekt ARPANET hatte, welches eine sichere und dezentrale Kommunikationsmöglichkeit im Kontext des Kalten Krieges liefern sollte6 – weitere Beispiele wäre der inzwischen alltägliche Umgang mit Drohnen- und Satellitentechnologie. Insofern kommen Investitionen in Forschung & Entwicklung des hochtechnologisierten Rüstungsbereichs, mit dem nötigen zeitlichen Abstand, auch anderen Bereichen wie beispielsweise der Luftfahrt oder dem Maschinenbau zugute. Zivile und militärische Investitionen haben daher in vielen Fällen eine große Schnittfläche.

Größte Rüstungsunternehmen nach Umsatz

Grenzenloses Wachstum vorprogrammiert?

Der Rüstungsbereich ist stark segmentiert und heterogen, sowohl was die Vielzahl der Teilnehmer als auch der Teilbereiche angeht. Rüstung sind eben nicht nur Waffen, Munition, Fahrzeuge und elektronische Systeme, sondern auch Schutzkleidung, Infrastruktur, Logistik, Kommunikation sowie spezifische Dienstleistungen. Dementsprechend komplex ist auch die Zulieferstruktur, die über mehrere Ebenen verläuft und allein dadurch schon limitierend wirkt. Die Produktion auf dem Papier massiv hochzufahren ist leicht zu bewerkstelligen. In der Praxis fällt dies bedeutend schwerer, man denke dabei nur an nicht existente zusätzliche Produktionskapazitäten oder mangelnde Rohmaterialien. Und auch der wirtschaftliche Burggraben (sogenannter moat), der gerade im Rüstungsbereich weit verbreitet ist und vielen Rüstungsfirmen aufgrund ihres Alleinstellungsmerkmals und ihrer Kompetenz eine gewisse Marktmacht und Unantastbarkeit garantiert,7 ist wenig geeignet für kurzfristige Produktionssteigerungen durch Einbindung weiterer Lieferanten. Insofern sollte man trotz aller Planzahlen zukünftiger Rüstungsinvestitionen nicht in Euphorie verfallen. Auch politisch – um noch einmal auf die NATO-Konferenz zurückzukommen – bleibt abzuwarten, ob am Ende alles so umgesetzt wird wie anfangs angedacht. So hat Spanien bereits angekündigt, dass man als einziges NATO-Land die 5 Prozentmarke nicht mittragen wolle8 – für Sprengstoff, passend zur Rüstung, ist also gesorgt.

Schwergewicht USA

Europa mag aktuell aufgrund großer Investitionsprogramme im medialen Rampenlicht stehen, die eigentliche Musik – pardon, Marsch – spielt aber in den USA. Unter den globalen Top 15 Rüstungsunternehmen, die knapp Zweidrittel der weltweiten Umsätze in Höhe von 606 Milliarden USD in 2023 erzielten, sind allein sieben aus den USA. Allen voran Rüstungsriese Lockheed Martin, aber auch Unternehmen wie RTX Corp, Northrop Grumman oder General Dynamics. Die überwältigende Dominanz aus Übersee wird deutlich, wenn man die Umsätze aller US-Unternehmen unter den Top 100 Rüstungsfirmen kumuliert – über 81 Prozent der Umsätze 2023 wurden bei des US-Firmen generiert.7 Rechnet man noch die fünf führenden chinesischen Rüstungsunternehmen heraus, zu denen unter anderen Aviation Industry Corporation of China (AVIC) oder North Industries Group Corporation (Norinco) gehören, lassen sich mit der britischen BAE Systems, der deutsch-französischen Airbus Group und der italienischen Leonardo gerade einmal drei europäische Player unter den Top 15 finden. Wenn von europäischen Rüstungsinvestitionen die Rede ist, sollte man insofern ins Kalkül ziehen, dass die zusätzliche Nachfrage nicht vollumfänglich auf dem alten Kontinent gestillt wird.

Der Blick nach Europa

Ungeachtet dessen, gibt es in Europa Marktteilnehmer, die ebenfalls ein gewichtiges Wort bei der Vergabe künftiger Rüstungsprojekte mitsprechen dürften. Neben den bereits genannten wären dies in Deutschland beispielsweise Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann (KMW), Diehl, Hensoldt oder ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS). Frankreich wiederum kann mit Thales, Naval Group, Dassault oder KNDS (vormals: Nexter) aufwarten und auch Spanien steuert mit Navantia und Indra zwei nationale Rüstungsschwergewichte bei. In den letzten fünf Jahren erzielten europäische Rüstungsunternehmen durchschnittlich über 7 Prozent Umsatzwachstum, wobei der Gewinn durchschnittlich um ca. 10 Prozent gesteigert werden konnte. Damit lagen die Steigerungsraten von europäischen Firmen bereits zum damaligen Zeitpunkt deutlich über dem Niveau ihrer Wettbewerber in den USA5 – der NATO-Beschluss hinsichtlich Erhöhung der nationalen Verteidigungsausgaben ist insofern nur ein zusätzlicher Aspekt, der die bereits wachsende Nachfrage nochmalig steigern dürfte.

Fazit

Die jüngste Eskalation im Iran, der Krieg in der Ukraine, die Kampfhandlungen im Gazastreifen oder die Spannungen rund um den China-Taiwan-Konflikt lassen vor allem einen Schluss zu – die weltweite geopolitische Lage ist und bleibt instabil. Gepaart mit dem Wunsch nach nationaler Sicherheit und getreu dem Motto „Wenn Du Frieden willst, bereite Dich auf den Krieg vor“, erlebt die Welt – insbesondere Europa – eine Renaissance ihrer Bemühungen hinsichtlich Verteidigung und Wehrfähigkeit. Eine Entwicklung, die sich nach dem gegenwärtigen politischen Willen auch in den kommenden Jahren fortsetzen dürfte. Gleichwohl stellt dies nicht ein Blankoscheck für Investitionen in Rüstung dar, da das Segment eine hohe Dimension an Komplexität, Differenziertheit und Vielschichtigkeit aufweist. Dies konterkariert eine Verteilung der Rüstungsinvestitionen nach dem Gießkannenprinzip – eine eingehende Behandlung mit der Materie ist dringend angeraten. Zudem konnten sich viele der genannten Titel in den letzten Monaten bereits vervielfachen, was ein hohes Rückschlagpotential mit sich bringt. Wir schließen die Betrachtung mit einem idealistischen Plädoyer für den Frieden, welche die Rüstungsindustrie wahrscheinlich mit dem Bonmot „Das Schlimmste erwarten, das Beste hoffen“ kontern würde.

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass eine Veranlagung in Wertpapiere neben Chancen auch Risiken beinhaltet.

Übersicht größerer Rüstungsunternehmen in Europa und den USA

1Quelle: SZ; Stand: 28. April 2016
2Quelle: Tagesschau; Stand: 5. Juni 2025
3Quelle: ZDF heute; Stand: 25. Juni 2025
4Quelle: IfW; Stand: 14. Februar 2025

5Quelle: DekaBank; Stand: 12. Februar 2025
6Quelle: ComputerWeekly; Stand: 24. November 2015
7Quelle: Morningstar; Stand: Jänner 2025
8Quelle: Zeit; Stand: 25. Juni 2025

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Stand: Juli 2025

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