Viele Anleger:innen träumen davon, genau am Tief des Aktienmarktes einzusteigen. Auf diese Weise, so glauben sie, wäre es möglich, den maximalen Gewinn zu erzielen. Rein intuitiv erscheint das schlüssig. Doch bei genauer Betrachtung entpuppt es sich als Trugschluss. Tatsächlich zeigen Rückrechnungen, dass der Einstieg am Tief auf Dauer nicht zwangsläufig zum bestmöglichen Ergebnis führen muss.
Überraschendes Ergebnis
Der Artikel „How to Perfectly Time the Market“ rechnet das Ganze für den US-Leitindex S&P 500 bzw. einen fiktiven, darauf basierten Indexfonds im Zeitraum von 1984 bis 2023 vor. Die Annahme: Es werden jeden Monat 200 US-Dollar gespart und investiert, über 40 Jahre also insgesamt 96.000 US-Dollar. Dabei werden drei Szenarien unterschieden:1
1) Ganz schlechtes Timing: Das Gesparte wird zunächst am Geldmarkt zu 3 Prozent Zinsen pro Jahr geparkt, bis der S&P 500 ein Allzeithoch erreicht. Erst dann wird es in den Indexfonds investiert. Trotz des denkbar ungünstigen Timings ergibt das ein erstaunliches Endvermögen von rund 736.000 US-Dollar.
2) Sehr gutes Timing: Das Gesparte wird zunächst am Geldmarkt geparkt, bis der S&P 500 eines seiner großen Tiefs (1987, 1990, 2002, 2009, 2020, 2022) erreicht. Dort wird es in den Indexfonds investiert. Das Endvermögen ist mit ca. 1.101.000 US-Dollar höher als zuvor, aber nicht astronomisch hoch, wie man vielleicht vermutet hätte.
3) Fortlaufendes Investment: Das zur Verfügung stehende Geld wird jeden Monat sofort in den Indexfonds investiert, egal wo der Markt steht. Auf diese Weise wird ein Endvermögen von rund 1.234.000 US-Dollar erreicht und damit mehr als in den beiden anderen Szenarien.
Das Ergebnis verblüfft. Wie kann es sein, dass fortlaufendes Anlegen besser abschneidet, als das angesparte Geld exakt an jedem der großen Tiefs in den Aktienmarkt zu investieren? Die Ursache lag im teils sehr langen Warten auf die perfekten Zeitpunkte. In der Zwischenzeit stieg der Markt in der Regel deutlich weiter. Deshalb kann das spätere Tief, auch wenn es optimal abgepasst wird, höher liegen, als wenn man zuvor sofort investiert hätte.2
Hinweis zur Grafik: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.
Timing funktioniert nicht
Zum Beispiel lag das Hoch im S&P 500 nach dem Einbruch im Jahr 1990 tiefer als das darauffolgende Tief des Dotcom-Crashs im Jahr 2002. Die Jahreszahlen verdeutlichen das grundsätzliche Problem der Timing-Strategie: Man verpasste im Beispiel durch das Warten auf große Rücksetzer ganze 12 Jahre am Aktienmarkt. In dieser Zeit wurden wie angenommen nur Zinsen erwirtschaftet, die langfristig weit hinter den Marktrenditen zurückblieben. Entsprechend enttäuschend ist auch ein zusätzliches Szenario, bei dem immer nur am Geldmarkt investiert wird. Dort betrug das Endvermögen gerade einmal rund 184.000 US-Dollar. Das ist nur ein Viertel dessen, was der schlechteste Timing-Ansatz erzielte.1
Andere Untersuchungen zum US-Aktienmarkt bestätigen die Ergebnisse, auch wenn die Details der Berechnungen mitunter variieren. In einer Untersuchung im September 2023 durch Charles Schwab, eine der größten amerikanischen Börsenmaklerfirmen, wurden alle rollierenden 20-Jahres-Zeiträume bis zurück ins Jahr 1926 analysiert (z. B. 1926-1945, 1927-1946 usw.). Dabei schnitt die sofortige Anlage verfügbarer Mittel durchwegs gut ab und lag selbst in schlechten Börsenphasen nie an letzter Stelle der untersuchten Szenarien.2 Dass Timing grundsätzlich nicht funktioniert, bleibt zwar umstritten. Aber die meisten Expert:innen stimmen darin überein, dass es zumindest sehr schwierig ist.3 Schon der US-amerikanische Finanzier Bernard Baruch sagte einst, nur Lügner könnten am Tief kaufen und am Hoch verkaufen.4 Auch Wissenschaftler sind seit Jahrzehnten skeptisch, was eine systematische Outperformance durch Timing angeht.5
Auch Krisen haben zwei Seiten
Doch das ist noch nicht alles. Statt Timing zum eigenen Vorteil nutzen zu können, setzen sich Anleger:innen in Wahrheit häufig der Gefahr aus, deutlich schlechter als der Markt abzuschneiden. Ein Beispiel ist, in Krisenzeiten die Nerven zu verlieren und Aktieninvestments zu verkaufen. Das kann ein Fehler sein, denn dadurch können erlittene Kursverluste geradezu zementiert werden, wenn kein Wiedereinstieg zu günstigen Preisen gelingt. Wiedereinstiege können leicht verpasst werden, da Wendepunkte oder der Beginn eines neuen Aufwärtstrends häufig durch schnelle und starke Kursanstiege geprägt sind. Das liegt vor allem daran, dass im Umfeld von Krisen nicht nur die schlechtesten Börsentage sondern meist auch die besten Börsentage auftreten.6 Das zeigt eine Analyse des S&P 500 Total Return Index im Zeitraum von 1994 – 2023. Dabei wurde festgestellt, dass 50 Prozent der besten Handelstage in einem Bärenmarkt stattfanden und weitere 28 Prozent während der ersten zwei Monate eines Bullenmarktes. Zudem fand die Studie heraus, dass ein Versäumen der besten 10 Börsentage die Performance um erstaunliche 54 Prozent schmälern würde.7
Hinweis: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.
Angst und Gier als Spielverderber
Ein Motto für langfristige Anleger:innen beim nächsten Crash könnte also sein, dass auch dieser Rücksetzer vorbeigehen wird und man über Investments nachdenken sollte. Nicht umsonst sagte US-Börsenlegende Warren Buffett einst, man solle ängstlich sein, wenn andere gierig sind und gierig, wenn andere Angst haben.8 Diese Logik spricht für Zukäufe in schlechten Zeiten. Aber Krisen gehen oft mit Stressmomenten einher, bei denen viele den Druck verspüren, verkaufen zu „müssen“. Aus emotionaler Sicht scheint es in diesen Momenten richtig zu sein, aus dem Markt auszusteigen, da ringsum die Angst dominiert. Aber Anleger:innen sollten einen kühlen Kopf bewahren. Fast 100 Jahre an Daten zum US-Aktienmarkt zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit realer Wertverluste mit der Anlagedauer immer weiter abnahm. Bei einem durchgehenden Investment von 20 Jahren, in einen US-Aktienindex großer Unternehmen, hätte es unabhängig vom Einstiegszeitpunkt niemals Verluste am Ende der 20 Jahre gegeben.9
Hinweis: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.
Zwei Arten von Risiko
Rückblickend betrachtet konnte der US-Aktienmarkt Rücksetzer immer verarbeiten und früher oder später überwinden.10 Deshalb scheint das größere Risiko für Anleger:innen darin zu bestehen, zu stark auf Sicherheit bedacht zu sein. So mancher setzt vorrangig auf Anleihen, Cash oder Gold und eventuell zu wenig auf Aktien, die historisch oft die höheren Renditen brachten.11
Trotzdem: Als sicher dürfen Aktien auch auf lange Sicht nicht bezeichnet werden. Selbst bei diversifizierten Portfolios und breit gestreuten ETFs handelt es sich um Investments, die höhere Risiken beinhalten als Anleihen. Diese Risiken verschwinden nicht, auch wenn die Haltedauer 20 Jahre oder mehr beträgt. Nur so lässt sich auch erklären, weshalb Aktien überhaupt eine höhere Rendite erwarten lassen. Sie stellt die Entschädigung dafür dar, diese Risiken einzugehen.12 Deshalb spricht man von der Aktienrisikoprämie, die im Mittel über mehr als 100 Jahre Börsengeschichte 4,7 Prozent über den Zinsen am Geldmarkt lag.13
Hinweis: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.
Schlechtes Timing ist besser als gar keines
Die Aktienrisikoprämie würde also für eine kontinuierliche Anlage verfügbarer Mittel sprechen. Je länger also – abgesehen von zufälligem Timing-Glück – mit einem Investment gewartet wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, langfristig etwas zu verpassen. Daraus leitet sich auch die Antwort auf die Frage ab, wann ein guter Zeitpunkt ist, einen bereits verfügbaren Geldbetrag anzulegen: Besser früher als später.
Viel wichtiger als der Zeitpunkt, an dem die Anlage beginnt, ist die Dauer des Investments und das man besser breitgestreut nicht alles auf eine Karte setzt.14 Aus diesem Grund waren sogar die am schlechtesten getimten Investments am Aktienmarkt rückblickend meist besser, als gar nicht dabei zu sein. Wer also ständig den Beginn seiner Investments hinauszögert, riskiert damit, die potenziellen Renditen am Aktienmarkt ganz zu verpassen, weil immer auf den „richtigen Zeitpunkt“ gewartet wird. Dieser wird aber wohl nie kommen. Und selbst wenn: Sogar perfektes Timing in jedem einzelnen Jahr brachte beispielsweise am US-Aktienmarkt nicht den überragenden Renditevorsprung, den sich viele Anleger:innen erhofften.2
Dabei sein ist alles
Entscheidend ist letztlich vor allem eines: Überhaupt am Markt dabei zu sein. Dazu sollte im Vorfeld ein Plan entwickelt werden, der dann diszipliniert verfolgt wird und emotionale Entscheidungen vermeidet. Denn der größte Fehler wäre sich nicht rechtzeitig um die Geldanlage zu kümmern.
Bei weiteren Fragen zu diesem Thema sind die Berater:innen der Erste Bank & Sparkasse gerne für Sie da. Gemeinsam lassen sich Strategien erarbeiten, die am Markt seit Jahrzehnten bewährt sind.
Hinweis: Eine Veranlagung in Wertpapiere birgt neben den geschilderten Chancen auch Risiken. Ein Kapitalverlust bis hin zum Totalverlust ist möglich.
1Quelle: Personal Finance Club; Stand: 18. Jänner 2024
2Quelle: Charles Schwab; Stand: 13. September 2023
3Quelle: Investopedia; Stand: 26. August 2024
4Quelle: Julius Bär; Stand: 30. November 2023
5Quelle: Sharpe, W. F. (1975), Likely Gains from Market Timing, Financial Analysts Journal
6Quelle: Advisorperspectives; Stand: 6. September 2023
7Quelle: Harford Funds; Stand: Jänner 2024
8Quelle: Berkshire Hathaway; Stand: 27. Februar 1987
9Quelle: Schroders; Stand: 12. September 2024
10Quelle: The Irrelevant Investor; Stand: 5. August 2024
11Quelle: Hartford Funds; Stand: Mai 2024
12Quelle: Enterprising Investor; Stand: 24. April 2024
13Quelle: Dimson, E. / Marsh, P. / Staunton, M. (2006), The Worldwide Equity Premium: A Smaller Puzzle
14Quelle: Hartford Funds; Stand: Jänner 2024
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Stand: Oktober 2024