Es gibt einige Parallelen, aber viele Unterschiede zur Dotcom-Bubble

 

Ginge es nach der klassischen Finanzmarkttheorie, dürften Kursblasen gar nicht existieren. Die Märkte wären stets effizient. Diese Sichtweise vertrat der US-Kapitalmarktforscher Eugene Fama schon vor mehr als 50 Jahren. Lange galt seine Theorie im akademischen Bereich als unumstößlich. Auch heute ist sie trotz einiger Kratzer durch nachgewiesene Verhaltenseffekte der Marktteilnehmer von zentraler Bedeutung.

Praktiker:innen hatten dagegen schon immer Zweifel daran, dass die Märkte effizient sind. Immer wieder fanden sie Gegenbeispiele. Zum einen kurzfristige Ineffizienzen, bei denen Informationen nicht richtig eingepreist und risikolose Gewinne mögliche waren.1 Zum anderen beobachtete man Kursblasen. Dabei handelt es sich um Entwicklungen, die zu Beginn mit fundamentalen Daten unterlegt sind, sich später aber zunehmend von der Realität entkoppeln und in Feedback-Schleifen verselbstständigen.
 

Aus soliden Trends werden Luftschlösser

Geschichten über derartige Blasen gibt es seit Jahrhunderten. Sie treten relativ selten auf, können aber dafür umso verheerendere Konsequenzen haben, wenn sie früher oder später in sich zusammenbrechen. Alten Hasen unter den Börsianer:innen dürften zwei Beispiele besonders im Gedächtnis sein. Zum einen die Spekulationsblase in Japan Ende der 1980er Jahre. Damals wurde in der Spitze ein Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) von 67 erreicht.2 Als die Blase 1990 platzte, kam eine deflationäre Spirale in Gang. Es dauerte ganze 34 Jahre und 2 Monate, bis der japanische Leitindex Nikkei 225 am 22. Februar 2024 sein damaliges Rekordhoch wieder erreichte. Zwischenzeitlich waren die Notierungen um mehr als 80 Prozent gefallen.

Etwas aktueller sind die Erinnerungen an die Dotcom-Blase, die Ende der 1990er Jahre entstand. Damals wurde beim Nasdaq 100 in der Spitze ein KGV von über 80 erreicht.2 Wie kaum eine andere Aktie steht Cisco Systems für die Exzesse dieser Zeit. Das Unternehmen hatte 1999 ein KGV von 135 und einen Marktwert von einer halben Billion US-Dollar.3 Am stärksten wurden aber Aktien gehypt, die gerade an die Börse gingen, die Welt verändern wollten und tiefrote Zahlen schrieben. So etwa Priceline, wo man frei gebliebene Plätze etwa in Flugzeugen kurzfristig an Online-Kund:innen verkaufte. Obwohl hohe Verluste zu Buche schlugen, war die Firma nach dem Börsengang schlagartig 10 Milliarden US-Dollar wert. Das war kein Einzelfall. Der gesamte Börsenwert von 199 einschlägigen Internet-Aktien betrug im Oktober 1999 rund 450 Milliarden US-Dollar. Ihr jährlicher Gesamtumsatz lag aber nur bei 21 Milliarden. Und noch schlimmer: Sie erzielten einen kollektiven Verlust von 6,2 Milliarden US-Dollar. Besonders absurd: Verluste waren fast erwünscht. Firmen, die Gewinne machten, wurden niedriger bewertet.4 Selbst Expert:innen konnten sich dem Hype kaum entziehen. Trotz der Übertreibungen waren lediglich zwei Prozent der Ratings von Analyst:innen Verkaufsempfehlungen.3

Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.

Als die Blase im März 2000 platze, verlor der US-Tech-Index Nasdaq 100 in der Spitze mehr als 80 Prozent nachdem er sich davor seit Jänner 1995 verzehnfacht hatte. Viele unprofitable Startups gingen Pleite. Selbst einige heute etablierte Tech-Firmen wie Cisco Systems oder Intel notieren unter den damaligen Hochs, obwohl sie viel höhere Gewinne erzielen. Ebenso Aktien des breiten Marktes, die damals von der Euphorie ergriffen wurden wie Deutsche Telekom oder Allianz. Auch der breite Euro Stoxx 50 Index hat seinen Rekordstand noch nicht wieder erreicht.

Hinweis: Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.

Parallelen zur Dotcom Bubble

In den letzten Monaten wurden Erinnerungen an die Dotcom-Blase wach. Denn zum Teil waren extreme Kurssteigerungen von Aktien mit Bezug zu Künstlicher Intelligenz (KI) zu beobachten. So legte der US-Chiphersteller NVIDIA seit Anfang 2023 um mehr als 500 Prozent zu. Auf 5 Jahressicht ist die Aktie sogar über 1.900 Prozent im Plus. Mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 2 Billionen US-Dollar bedeutete das Platz 3 der wertvollsten Firmen weltweit.5 Auslöser des Hypes war die Veröffentlichung von ChatGPT Ende November 2022. Dies wurde als „iPhone-Moment“ der KI bezeichnet.6 Nachrichten wie diese können zu gleichgerichtetem Handeln der Marktteilnehmer führen, die auf den Zug aufspringen. Akteure mit anderen Einschätzungen, die dagegenhalten, sind dann nicht stark genug, die fahrende Lokomotive aufzuhalten.7

Erleben wir also gerade eine neue Spekulationsblase? Tatsächlich zeigen sich Parallelen zu den 1990ern. Damals standen die erwarteten Produktivitätssteigerungen durch Internet & Co. im Fokus, heute ist es die KI.8 Für eine mögliche Blase spricht auch, dass vor allem die Sektoren Halbleiter und Software für große Teile der Gewinne verantwortlich sind. Eine ähnlich schmale Basis hatten die Märkte in der heißen Phase der Dotcom-Blase ab Mitte 1998.9 Ähnlich wie damals befindet sich die US-Wirtschaft nach den meisten Maßstäben in einem späten Konjunkturzyklus, was die Aussichten auf eine weitere lange Phase attraktiver Aktienrenditen für die Zukunft einschränkt. Ein Unterschied zur Dotcom-Blase ist dagegen, dass Small Caps bisher schwach performten, während sie damals in der Endphase der Rallye massiv zulegten. Börsengänge gab es zuletzt ebenfalls viel weniger als Ende der 1990er. Und anders als damals ist die Globalisierung heute auf dem Rückzug, während sie damals auf dem Vormarsch war.8

Was gegen eine Spekulationsblase spricht

Die Möglichkeit, dass gerade eine Blase entsteht, lässt sich nicht ganz ausschließen. Doch vieles spricht dagegen. Zum einen die Bewertungen der führenden US-Tech-Aktien, besser bekannt als „Magnificient 7“. Ende Jänner lag deren mittleres KGV bei 29. Das war 1,7-Mal höher als der Median der Aktien aus dem S&P 500. Bereinigt um die langfristigen Wachstumserwartungen schien das nicht übertrieben.10 Das gilt umso mehr, wenn man der Erwartung der Tech-Firmen glaubt, dass mit der KI tatsächlich eine Beschleunigung der Produktivität bevorsteht.9 Zudem erscheinen die Prognosen für das Gewinnwachstum auf Sicht von 2 Jahren deutlich realistischer als im Jahr 2000. Damals wurde erwartet, dass die größten Tech-Unternehmen im Jahr 2002 einen mittleren Zuwachs von 24 Prozent erzielen würden. Heute liegt die Erwartung für 2026 bei 15 Prozent.11 Zudem offenbart ein Vergleich der Bewertungen zu den Extrema der Blasen in Japan 1989 und bei Dotcom-Werten 2000, dass noch deutlich Luft nach oben wäre.

Interessant ist auch, dass der Aktienmarkt zuletzt so gut lief, obwohl die Notenbanken die Zinsen auf relativ hohem Niveau beließen und ihre Bilanzen verkürzten, dem Markt also Liquidität entzogen. Einzig die Erwartung erster Zinssenkungen im Jahr 2024 blieb als stützendes Argument seitens der Geldpolitik.12 Deshalb spricht die gute Performance dafür, dass der Markt echte, innere Stärke aufweist.2 Die fast durchgängig hohe Profitabilität der heutigen Top-Performer wäre ein Argument dafür.9 In der Dotcom-Blase lag der Fokus auf möglichst hohen Umsatzsteigerungen. Die Fallhöhe bei Enttäuschungen war also viel höher. Heute sind viele Geschäftsmodelle etabliert.13 Bei Firmen wie NVIDIA ist KI das Hauptgeschäft. Bei Microsoft, Alphabet und Meta wird das ohnehin laufende Business dadurch angekurbelt.14

Schauen wir uns ein paar Beispiele an. Bei NVIDIA stieg der Umsatz 2023 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 120 Prozent auf 61 Milliarden, der Gewinn um mehr als 750 Prozent auf 12,3 Milliarden US-Dollar.15 Microsoft erzielt seit 5 Jahren konstant hohe Margen. Das für die nächsten 2 Jahre erwartete Gewinnwachstum von rund 15 Prozent lässt das KGV von 35 annehmbarer erscheinen. Bei Alphabet ist es ähnlich. Kurz- bis mittelfristig dürften die Gewinntrends kaum drehen.12 Sollten Kursrücksetzer auftreten, könnten unterinvestierte Anleger:innen auf den Plan gerufen werden, die auf Einstiegsgelegenheiten warten. Ein Indiz dafür sind rekordhohe, in Geldmarktfonds geparkte Summen.16,17 Und auch, wenn die Notenbanken die Zinsen senken und der Geldmarkt weniger attraktiv wird, könnten neue Kapitalströme in den Aktienmarkt resultieren.

Sowohl in den USA als auch in Europa sind die Bestände von Geldmarktfonds infolge der Zinserhöhungen seit dem Jahr 2022 weiter gestiegen. Sollten die Zinsen gesenkt werden, könnten Teile des „geparkten“ Geldes in den Aktienmarkt fließen.

Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.

Vorläufige Entwarnung

Natürlich gibt es immer einzelne Aktien, die über das Ziel hinausschießen und Firmen, bei denen sich das Geschäftsmodell als weniger solide erweist als anfangs gedacht. Auch im Bereich KI kann nicht jedes Unternehmen erfolgreich sein. Die Erwartungen könnten sich also nach unten verändern. Auch die Big-Tech-Firmen könnten ihre hohen Gewinnziele in Zukunft verfehlen. Dann dürfte es in der Weltwirtschaft wenig Impulse geben, den Zyklus wieder in Gang zu bringen.8 Weitere Risiken sind eine potenziell stärkere Regulierung und die Geopolitik. Eine Blase, wie sie Ende der 1990er Jahre bei Internetaktien zu beobachten war, sehen Expert:innen aber mehrheitlich nicht.13 Abseits des Tech-Sektors zeigt der breite Markt keine offensichtlichen Anzeichen von Exzessen, wie es damals der Fall war. Ganz im Gegenteil, gerade kleinere Aktien sind vielfach attraktiv bewertet.18

Doch selbst, wenn aus dem aktuellen Technologietrend eines Tages eine veritable Blase entsteht, dürften die aktuellen Rufe danach deutlich verfrüht sein. Das ist eine Lehre aus der Dotcom-Zeit. „Ich glaube, wir nähern uns einer Übertreibung am US-Aktienmarkt“, sagte der Hedgefonds-Manager Ray Dalio im Jahr 1995. „Jeder Taxifahrer möchte nur noch über heiße Aktien sprechen“, bemerkte 1996 Fondsmanager Howard Marks. 1997 setzte Hedgefonds-Legende George Soros auf fallende Kurse bei US-Tech-Aktien. Am Ende hatten sie alle recht, waren aber deutlich zu früh dran.19

Und Professor Fama? Der ist nach wie vor skeptisch, was Kursblasen angeht. Sein Argument: Man kann sie nicht systematisch in Echtzeit identifizieren.1 Die verfrühten Einschätzungen der genannten Profis bestätigen das. Erst im Nachhinein ist es offensichtlich. Man muss also vorsichtig sein, einen überbewerteten Markt als Blase zu bezeichnen. Eines ist aber wichtig: Wenn eine Blase platzt, ist die Party vorbei. Auch das ist eine Lehre der Dotcom-Blase. Damals investierten Privatanleger:innen weiter aggressiv, als der Markt den Zenit bereits überschritten hatte. Das smarte Geld war da bereits auf dem Rückzug.4

1Quelle: Chicago Booth Review; Stand: 30. Juni 2016
2Quelle: Euro am Sonntag; LSEG Datastream; Stand: 22. März 2024
3Quelle:Penman, S. H. (2001), Fundamental Analysis: Lessons from the Recent Stock Market Bubble, Columbia University
4Quelle: TED Conferences; Stand: 4. Dezember 2018
5Quelle: CompaniesMarketCap; Stand: 26. März 2024
6Quelle: Handelsblatt; Stand: 10. Februar 2023
7Quelle: Abreu, D. / Brunnermeier, M. (2003), Bubbles and Crashes, Princeton University
8Quelle: Financial Times; Stand: 20. März 2024
9Quelle: Handelsblatt; Stand: 7. März 2024
10Quelle: J.P. Morgan Asset Management; Stand: 26. Jänner 2024

11Quelle: Deutsche Bank Perspektiven am Morgen; Stand: 19. März
12Quelle: FONDS professionell; Stand: 18. März 2024
13Quelle: Commerzbank; Stand: 21. März 2024
14Quelle: e-fundresearch.com; Stand: 25. März 2024
15Quelle: NVIDIA; Stand: 21. Februar 2024
16Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis; Stand: 7. März 2024
17Quelle: European Central Bank; Stand: 16. Februar 2024
18Quelle: Handelsblatt; Stand: 13. Februar 2024
19Quelle: Verdad; Stand: 19. Jänner 2021

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Stand: März 2024

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