Im Reich der Potenziale

Chinas Wirtschaft auf den Weg nach oben, UPDATE 15.07.2019

Auszug aus dem aktuellen UPDATE, dem Anlagemagazin der Vorarlberger Sparkassen

 

Einst brachten Händler aus China Explosives und Exotisches wie Schwarzpulver, Nudeln und Seide in die westliche Welt. Mittlerweile gehört ihnen der Strumpfproduzent Wolford.

China ist hungrig auf neue Handelswege und -verbindungen, der Westen auf einen Markt mit 1,4 Milliarden Menschen. Das Reich der Mitte hat in einem enormen Aufholprozess gewaltige Entwicklungssprünge in seiner Industrialisierung vorgenommen. Mit allen Vor- und Nachteilen: 200 Millionen Menschen wurden in den letzten drei Jahrzehnten aus bitterer Armut befreit.

Für einen neuen Lebensstil verbraucht der riesige Staat mehr Stahl, Kohle, Zement, Getreide oder Düngemittel als jede andere Nation der Erde. China ist dabei, die USA als größten CO2-Verursacher abzulösen. Gleichzeitig sind Sonne, Wind und Wasserkraft auf dem Vormarsch. Das sich abbremsende Wirtschaftswachstum Chinas wird als „neue Normalität" bezeichnet. Die Exporte nach China aus Vorarlberg sind dennoch steigend. 42 Vorarlberger Unternehmen verzeichneten im Vorjahr 86 Niederlassungen in China. Das Handelsvolumen mit China umfasst 13 Milliarden Euro, der Wert der Importe betrug im Vorjahr 9 Milliarden Euro, die Exporte stiegen auf 4 Milliarden Euro. Firmen wie Alpla, Blum, Faigle u. a. unterhalten sogar eigene Büros, Lager oder Werke in China.

Prestigeobjekt mit Tücken
Das Prestigeprojekt "Neue Seidenstraße" stößt in Europa auf größtes Interesse. Als völkerverbindendes Friedensprojekt angepriesen, dient es vor allem wirtschaftlichen Interessen: Das Netzwerk soll sich durch knapp 70 Länder ziehen, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung erreichen sowie ein Drittel der Weltwirtschaftsleistung lukrieren. Noch benötigen Schiffe von Asien nach Europa 30 bis 40 Tage, die Bahn 14 bis 16 Tage. 2030 sollen bereits 10.000 Züge Güter transportieren. Neben neuen Transportwegen umfasst das Netzwerk die Errichtung von Kraftwerken, Pipelines und Flughäfen.

Österreichische Wirtschaftsverantwortliche befürworten den Ausbau, mahnen aber zu Vorsicht. Die Österreich-Anbindung ist frühestens 2030 vorgesehen. Einige Länder haben sich für die neue Seidenstraße bereits verschuldet und verzeichnen nun chinesische Gläubiger. Skeptiker verweisen in Staaten mit hoher Korruption auf brachliegende Stadien und Flughäfen. Auch die Produktpiraterie ist China-Kritikern ein Dorn im Auge: Milliarden Euro und hunderttausende Arbeitsplätze gehen dadurch im Westen verloren.

Risiko Datensicherheit
Die Seidenstraße wird im Westen als Chance, Herausforderung und Gefahr gleichermaßen gesehen. Chinas Präsident Xi Jinping ist vor allem an bilateralen Handels- und Verkehrsabkommen interessiert – wenn nicht sogar an einer neuen Weltordnung, die nach chinesischen Maßstäben zugeschnitten wird. Und wer die Chinesen kennt, weiß: Sie sind bei neuen Technologien und Applikationen rasend schnell. Der E-Commerce-Riese Alibaba liegt im internationalen Markenranking noch hinter Amazon, ist jedoch im Finanzdienstleistungsgeschäft hochaktiv. Der deutsche Technologiekonzern Siemens hat eine Cloudvereinbarung mit Alibaba aufgenommen: Die IoT-Plattform Mindsphere ist ab sofort auch auf Alibaba Cloud verfügbar, um das industrielle Internet der Dinge (IoT) in China voranzutreiben. Auch hier stellt sich bei IT-Experten die Frage, inwiefern der chinesische Staat Zugriffe auf diese Cloud hat. Das neue Gesetz zur Cybersecurity in China definiert die Rolle des Staates in der Netzlandschaft. In China tätige europäische Unternehmen müssten sämtliche Daten von Kunden in China speichern. Westliche Datenschützer bekommen darob Kopfschmerzen: Datenschutz war in China nie ein großes Thema. Gleichzeitig werden auch in Europa immer mehr Smartphones von Huawei gekauft und Unternehmen lagern Daten auf chinesischen Servern: China ist auch im Cyberspace ein Riese.

Big China is watching you
Die Chinesen leben digital: Allein der Dienst WeChat hat 1,1 Milliarden Nutzer, mit dem diese ihren gesamten Alltag organisieren – vom Einkauf an der Imbissbude bis zur Buchung einer Flugreise. Das freut den Staat, denn die chinesische ID-Karte kann mit dem WeChat Konto verknüpft werden, was das Konzept „Gläserner Bürger" vereinfacht. Wer sich etwas zuschulden kommen lässt und beim Bürgerscore Punkte verliert, landet auf einer Liste mit diskreditierten Personen, die mittlerweile 13 Millionen chinesische Bürger umfasst. Sie unterliegen Reisebeschränkungen und – was für manche viel schlimmer ist – einer Drosselung der Internetgeschwindigkeit.

Gesichtserkennungssoftware überwacht den öffentlichen Raum, um selbst kleines Fehlverhalten zu erfassen. Was auch bei großer Euphorie für den Emerging Market China nicht vergessen werden darf: Die Volksrepublik China ist jenes Land, welches die meisten Todesurteile vollstreckt...

Meister-Strategen
Einer, der die Entwicklung des roten Riesens mit Interesse verfolgt ist Josef Vonach. Der einstige Exportclub-Präsident und Amaco-Geschäftsführer im Ruhestand: „In China geht alles rasant, es entstehen neue Universitäten, gut gebildete Menschen drücken aufs Gas, treffen strategische Entscheidungen und setzen diese rasch um. Weltweit werden Firmen strategisch aufgekauft." Der Asienexperte ortet für einen ganzen Kontinent gar eine Win-Win-Situation: „In Afrika entstehen neue Stützpunkte. Es ist mehr als ein Absatzmarkt, dort wird sehr viel logistisch gearbeitet und Know-how und Infrastruktur eingebracht. Die neu entstehenden Chin-towns in Afrika sind ein Wirtschaftsfaktor, der noch zu wenig beachtet wird."

Das System "Bürgerscore" relativiert der Dornbirner: Eine so große Masse an Menschen lasse sich schwer demokratisch führen. Die chinesischen Bürger selbst sehen den Score gar als Maßnahme gegen die Verrohung der Sitten. Positive Punkte gibt es ebenfalls – wenn man sich um alte Menschen kümmert oder eine Heldentat vollbringt.

China ist derzeit jedenfalls in aller Munde. Die handelspolitischen Spannungen zwischen dem Land der Mitte und den USA werden mit Sorge betrachtet. Die Entwicklungen haben weltweite Sprengkraft. Und das liegt nicht nur am Schwarzpulver.