Dürfen, weil wir es können?

Ethik in der Biotechnologie, UPDATE 21.10.2019

Mittelalterliche Alchemisten suchten den Stein der Weisen, um aus unedlem Metall Gold herzustellen – und nebenbei nach Möglichkeiten, den Homunkulus, ein Menschlein, im Labor zu erzeugen. Unser Traum, die Schöpfung selbst in die Hand zu nehmen, ist uralt. Die moderne Gentechnik kommt jetzt diesem Wunsch immer näher. Seit 2003 die Entschlüsselung des menschlichen Genoms mit 3,2 Milliarden Bausteinen erfolgte, ist der Menschheitstraum vom Leben ohne körperliche Leiden zum Greifen nahe. Die Wissenschaft hat mit dem Genome Editing alle nötigen Instrumente zur Verfügung, um Designerpflanzen, -tiere und auch gentechnisch veränderte Menschen zu erschaffen. Geißeln der Menschheit wie Krebs und Alzheimer sollen ausgerottet, der Hunger auf der Erde mit optimierter Nahrungsmittelproduktion beseitigt werden. Naturalisten und Technologen diskutieren dazu vehement. Ethische Normen und gesetzliche Rahmenbedingungen sind international unterschiedlich geregelt.

Basteln mit der Genschere
Zukunftsforscher halten die gesteuerte, gezielte Nutzung der sogenannten Genschere am Menschen bereits vor dem Jahr 2030 für hochwahrscheinlich. Die seit einigen Jahren entwickelten Eingriffe in den Quellcode des Lebens mittels Crispr/Cas9 ermöglichen es, Gene hinzuzufügen, auszuschalten, defekte Erbgut-Teile zu ersetzen und einzelne DNA Buchstaben zu verändern. Erbfehler können ausgebessert, Nutzpflanzen schädlingsresistent oder Blutzellen gegen das HI-Virus immun gemacht werden.

Umgehend entbrannte der Kampf um die Patentierung für Medikamente und Verfahren für Pflanzen- und Tierzüchtung, Biotechnologie und Medizin – und ums große Geld. Allerdings können ungewollte Off-Target-Effekte, also unkalkulierbare Begleitschäden im Erbgut als drastische Nebenerscheinungen von beabsichtigten Mutationen, nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Hoffnungsträger Life Sciences
Die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier ist eine der Erfinderinnen der Genschere, die Erbkrankheiten heilen und entsprechende Medikamente entwickeln möchte. Erforscht wird auch ein Spin-off namens Gene drive, eine Biotechnologie, mit der Organismen genetisch verändert werden können. Man implantiert z. B. Moskitos eine Resistenz gegen Malaria oder Zika, die dann an die Brut weitergegeben und in der Natur großflächig verbreitet wird. Eine noch extremere Methode besteht darin, Mückenweibchen genetisch zu sterilisieren, um die Population zu dezimieren und Krankheitsübertragungen einzuschränken. Die Risken: Es ist nicht ausreichend untersucht, welche Auswirkungen der Verlust bestimmter Arten auf ein Ökosystem hat.

Dieselben Bedenken gelten für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel, zu deren Auswirkungen noch keine Langzeituntersuchungen vorliegen. Vor allem die Auskreuzung genmanipulierter Pflanzen in wilde Verwandte wird besonders kritisch gesehen. Es gilt, den Inhalt der nun geöffneten Büchse der Pandora in den Griff zu bekommen, damit das Tor zum Himmel – und nicht zur Hölle – geöffnet wird.

Alles für die Gesundung
Der Nutzen von Biotechnologie vom Penizillin bis zum Insulin ist enorm. Ihn stellt niemand in Frage. Die biomedizinische Forschung aber macht sich gentechnisch veränderte Tiere für Gene-Pharming zunutze. Japanische Forscher lassen sogar menschliche Organe in Tieren heranwachsen, um damit künftig Patienten zu helfen. Mehr Bedacht beim Einsatz von Wissenschaft und Technik wünscht sich der Papst ebenso wie zahlreiche Wissenschaftler, Tierschützer und Konsumenten. Organfabriken, in denen Chimären gezüchtet werden, sind die Horrorvision.

In Ländern wie China, Japan, Russland und Südkorea ist fast alles erlaubt. Der Forscher Jiankui He, der auch chinesischer Frankenstein genannt wird, hat nach eigenen Angaben die Zwillinge Nana und Lulu als Embryos gentechnisch so verändert, dass sie immun gegen HIV-Infektionen sind.

Therapie versus Frankenstein
Wo aber erfolgt die Grenzziehung zwischen der Heilung einer Krankheit und der Optimierung des Menschen? Den Bedenken der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft schließt sich auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften an. Der Sinn sorgfältig kontrollierter genetischer Forschung zur Therapierung gravierender Erbkrankheiten wird anerkannt, Human Enhancement – die genetische Optimierung des Menschen – jedoch abgelehnt. Die erbliche Genom Editierung von Menschen schränkt das Selbstbestimmungsrecht künftiger Generationen ein. Kritiker erkennen außerdem die mögliche Gefahr einer Verringerung der Biodiversität.

Die Bibel hebt gerade die Vielfalt des Lebens als besonderes Geschenk Gottes hervor – und bekommt von der Natur recht: Obwohl sich unsere Genome nur in 0,1 Prozent der Buchstaben voneinander unterscheiden, bleibt jeder Mensch einzigartig. Noch.

Andrea Fritz-Pinggera 

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